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FRAUEN100 x Politics Dinner

2. Dezember 2022

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"Baraye“ ist der Titel einer Ballade des iranischen Musikers Shervin Hajipour und bedeutet so viel wie „für“ oder „wegen“. Seit der Veröffentlichung Ende September 2022, auf Instagram, wurde "Baraye“ schnell zur Hymne der feministischen Revolution im Iran: Man hört es überall, bei Protesten auf den Straßen, in Restaurants, Cafés, Schulen und Universitäten. Menschen singen es im Angesicht der Einsatzkräfte des iranischen Regimes, die Worte stehen auf Protest-Plakaten und werden millionenfach in den sozialen Medien geteilt.


Am Mittwochabend ertönte eben jene Hymne auch im Wintergarten des Hotel Adlon in Berlin, gesungen von der gebürtigen Iranerin und Sängerin Sharzad Osterer. Dort waren über 60 der wichtigsten Politikerinnen, Journalistinnen und Thoughtleaderinnen Deutschlands, wie Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP oder Julia Klöckner von der CDU der Einladung zum FRAUEN100 x Politics Dinner gefolgt, um ein Zeichen der Solidarität mit der Revolution im Iran zu setzen und sich gemeinsam, parteiübergreifend auf Schritte zu einigen, diesen mutigen Kampf zu unterstützen und Haltung zu zeigen.


„Diese Revolution wird die Welt verändern“


Seitdem der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini vor zwei Monaten gewaltige Proteste entfacht hat, ist es bisher zu über 18.000 Verhaftungen gekommen und mindestens 455 Menschen starben, darunter 64 Kinder. Doch die Proteste reißen nicht ab – im Gegenteil: „Das hat einen Flächenbrand ausgelöst, der inzwischen weit über den Iran hinausgeht. Es gibt kein Zurück mehr zu dem Zustand vor der Revolution - diese Revolution wird die Welt verändern“, beschreibt Ricarda Lang (Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen und frauenpolitische Sprecherin) an dem Abend die Entwicklung.

„Diese Menschen im Iran kämpfen für Freiheit für die Zukunft und riskieren dafür ihr Leben. 455 Menschen haben ihr Leben seit Beginn der Revolution bereits verloren“, und damit ihr Tod nicht umsonst sei, müsse hingeschaut werden, sagte die Unternehmerin Verena Pausder, die durch den Abend führte. Eben deshalb sei der herausragende Einsatz von Menschen wie Natalie Amiri (Journalistin), Düzen Tekkal  (Menschenrechtsaktivistin) und Minu Barati (Filmproduzentin und Autorin) so wichtig: „Sie haben die Stimmen verstärkt die der Iran versucht hat, lautlos zu machen.“

Das Lied "Baraye“ mit dem der Abend in Berlin für alle begann, treffe bei Iraner*innen das Innerste im Herzen, erklärt Amiri. In dem Text heißt es „für die Sehnsucht nach einem normalen Leben, für Tanzen auf den Straßen, für Küssen ohne Angst, für Studierende, für die Zukunft. Für inhaftierte Intellektuelle. Für ein Mädchen, das sich wünschte, ein Junge zu sein, für die verrosteten Köpfe“. Den Songtext von "Baraye“ hat der Musiker Hajipour aus Online-Kommentaren von Demonstrant*innen zusammengesetzt, in denen die Menschen erklären, wofür sie auf die Straße gehen. Der Song gipfelt in der Zeile „Jin, Jiyan, Azadî“, also „Frau, Leben, Freiheit“, den drei Worten, die zu einem Mantra der Bewegung wurden.


„Die Frauen im Iran sind keine Opfer, sie sind Heldinnen“


Amiri berichtet seit Jahren aus Ländern wie Afghanistan, Syrien, der Türkei, Ägypten oder dem Iran als Kriegsreporterin: „Ich habe das Gefühl, dass wir alle ein bisschen erschöpft sind, von den Krisen der Welt, die sich aufeinander aufbauen und ablösen und ineinander übergehen“, sagt sie. „Aber das, was im Iran gerade passiert, ist eigentlich etwas Wundervolles, das wir feiern sollten“, Menschen würden sich gerade gegen ein menschenverachtendes Regime erheben, unter Einsatz ihres Lebens, beschreibt Amiri die Situation. Man müsse daran glauben, dass Menschen fähig seien sich zu erheben und etwas zu ändern: „Und Frauen sind sowohl Motor als auch Auslöser dieser feministischen Revolution. Die Frauen im Iran sind keine Opfer, sie sind Heldinnen!“

Gyde Jensen, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, fordert dazu auf, dem Iran und eben diesen Heldinnen so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu geben „Die Frauen im Iran haben die Kraft von alleine, aber wir müssen dafür sorgen, dass diese Kraft zu etwas führt. Wir müssen überall darüber sprechen - am Rednerpult aber auch zuhause.“

Das skrupellose Vorgehen des Regimes kennt Minu Barati genau und berichtet, was die iranische Regierung ihrer und so vielen anderen Familien angetan hat. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie der iranische Staat mit Regime-Gegner*innen umgeht. Die Filmproduzentin ist die Tochter von Nosratollah Barati-Novbari (alias Mehran Barati), einem Mitglied des Iran Transition Council. Barati floh mit ihrem Vater als Kind aus dem Iran und lebt in Berlin. Ihr Vater habe den vollen Preis bezahlt, mit allem, was dazu gehöre, Morddrohungen, abgehörte Telefone, sie habe ihre Großeltern, ihren Onkel, ihre Tanten und Cousinen im Iran seit ihrer Flucht nie wieder gesehen: „Mein Vater konnte seine Brüder und seine Eltern nicht einmal selbst beerdigen.“

Sie ruft zu einer klaren Haltung auf, die politischen Maßnahmen bisher seien völlig unzureichend, das Regime lache darüber: „Bewahrt euch nicht mehr diese Neutralität, das ist kein Bürger krieg - da ist nur eine Seite bewaffnet“, immer mehr junge Menschen würden sich nach der Entlassung aus den Gefängnissen das Leben nehmen, sexueller Missbrauch werde als Kriegswaffe eingesetzt. „Fangt an zu investieren, setzt die Revolutionswächter auf die Terror-Liste, setzt euch ein für Minoritäten im Iran - sie werden abgeschlachtet. Gebt dem Drang nicht nach wegzuschauen, wenn niemand mehr hinschaut, dann wird all das umsonst sein“, wendet Barati sich in ihrer emotionalen Ansprache an die anwesenden Journalist*innen und Politiker*innen.


„Wenn ihr nicht mehr hinseht, dann werden sie uns alle töten. Wir haben nur euch.“


Amiri kennt viele Geschichten von Iraner*innen, die das bestätigen. Sie berichtet von einem Gespräch, das sie mit einer Frau führte, die nach ihrer Gefangenschaft im Iran, nach Europa fliehen konnte. Auch sie berichtet von Vergewaltigungen, Folter und Misshandlung Minderjähriger in den Gefängnissen: „Sie schreien dabei nach ihren Müttern. Sie schreien nach Hilfe. Sie brauchen eure Hilfe. Wenn ihr nicht mehr hinseht, dann werden sie uns alle töten. Wir haben nur euch“, wiederholt Amiri die flehenden Worte der Iranerin.

Es könne keine normalen Beziehungen geben zum Mullah-Regime, sagt Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD: „Die Verbrecher gegen die Menschlichkeit müssen spüren, dass wir das nicht akzeptieren. Wir müssen Strukturen schaffen um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und Sanktionen möglich zu machen.“


„Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen, in Europa“


Das Mullah-Regime baue auf der Vernichtung und Entmenschlichungen der Frauen auf, sagt auch die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal aus ihrer Erfahrung. Es sei ja nicht das erste Mal, dass eine Frau getötet würde, aber es sei das erste Mal, dass alle sich verantwortlich fühlten: „Wir alle sind Mahsa Amini. Die Menschen, diese Tik-Tok-Generation hatte jetzt den Todesmut, das Töten und die Misshandlungen zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Weil die Menschen im Iran dafür getötet werden, müssen wir hier ihre Geschichten erzählen. Es geht darum, die Botschaften, die verhindert werden sollen, zu verbreiten.“

Die Standardfrage dürfe nicht immer sein, ob es gelingen werde, sondern wofür stehen wir und unsere Werte „Wenn wir nicht aufstehen, wenn all das passiert, was bedeuten unsere Werte dann überhaupt noch? Wir haben die Verantwortung, unsere Nahost Politik zu überdenken. Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen, in Europa“, fordert Tekkal die Politik auf.


„Es muss ein Alptraum werden für das Mullah-Regime“


Eine Gesellschaft sei nur dann frei, wenn Frauen frei seien: „Diese Frauenrechte sind Menschenrechte“, sagte auch Dr. Katja Leikert, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Bundesabgeordnete CDU.


Als drittstärkste Volkswirtschaft werde von Deutschland Führung in Europa und weltweit erwartet, erklärt Leikert. Natürlich könne Deutschland die Revolutions-Garden auf die Terror-Liste setzen - es müsse aber mehr gemacht werden: „Die höhere Form der Liebe, ist nicht zu reden, sondern zu handeln. Wir sind empowered und müssen deshalb mehr tun. Es geht um Handelsboykotte und Unterstützung der Zivilbevölkerung vor Ort. Es muss ein Alptraum werden für das Mullah-Regime.“


von Maike Backhaus

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