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FRAUEN100 x HEALTH Dinner 2024

10. Oktober 2024

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Die Kraft eines Namens: Eine Diagnose, ein Medikament, ein Experte. Wenn es um medizinische Fragen geht, bedeutet ein Name den Zugang zu Wissen – und damit zu informierten Entscheidungen. Am Beispiel der Pille danach können wir sehen, was passiert, wenn eben das nicht funktioniert: Durch das Werbeverbot wissen zu wenige Frauen und Mädchen wirklich etwas über das Mittel – wie die Pille funktioniert, wo man sie kaufen kann, in welchem Zeitfenster sie wirkt. Im Gegenteil, in einer Studie gab knapp die Hälfte der Befragten an, zu glauben, die Pille danach sei gleich die Abtreibungspille.


„Auch ich hatte beim Thema Pille danach Wissenslücken – die waren mir richtig peinlich“, sagt RTL-Moderatorin Katja Burkard in ihrer Opening Keynote beim FRAUEN100 X Health Dinner im Soho-House. 70 geladene Gäste aus Politik, Medien und verschiedenen Gesundheitsbereichen kamen zusammen, um über die Initiative #nurwennichesweiß zu sprechen, die Frauen besseren Zugang zu Informationen rund um Notfall-Kontrazeptiva geben soll. Die Journalistin und Mutter von zwei Töchtern nennt erschreckende Zahlen: Laut einer Studie von YouGov wissen zwei Drittel aller Befragten nicht, dass es die Pille danach ohne Rezept in der Apotheke gibt. Sie erklärt noch einmal den Unterschied zwischen der Pille danach und der Abtreibungspille: Erstere kann, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt eingenommen wird, den Eisprung nach hinten verschieben, so dass es nicht zu einer Befruchtung kommen kann. Katja hat als eine der ersten prominenten Frauen den offenen Brief der Initiative #nurwennichesweiss unterschrieben, der am 14. Oktober der Bundesregierung übergeben wird. Sie sagt: „Es geht hier auch um Selbstbestimmung und dass wir Frauen und Mädchen die Kontrolle über unseren eigenen Körper haben. Und das beinhaltet auch die Entscheidung, ob wir ein Kind bekommen wollen oder nicht.“


Gegenargumente entkräften: Die Pille danach ist weder eine Hormonbombe, noch ersetzt sie andere Verhütungsformen


Etwas über zehn Jahre ist es her, dass der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) damals noch als Bundestagsabgeordneter die Pille danach mit „Smarties“ verglich und sich damit gegen die rezeptfreie Herausgabe in Apotheken aussprach. Ein Vergleich, der zurecht viel Gegenwind bekam – denn keines der Argumente ist laut der Expertinnen, die beim Dinner sprachen, zu halten.


Dass die Pille danach ein starkes Medikament mit starken Nebenwirkungen sei, ordnet Dr. Mandy Mangler, Chefärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, ein: Das Hormon, das den Eisprung verzögere, sei ein körpereigenes Gestagen und in der Dosis zwei bis dreimal so hoch wie eine normale Pille. Zwar verlängert sie den Zyklus, weil sie den Eisprung nach hinten verschiebt – doch habe keine Studie ergeben, dass selbst die wiederholte Einnahme der Pille danach Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit hat. Daher plädiert die Ärztin für eine sachliche Bewertung und bittet um Entstigmatisierung des Medikaments.


„Frauen ersetzen die normale Pille oder andere Formen der Verhütung nicht mit der Pille danach“, bestätigt auch Shivaani Phillips, die als Global Marketing Director für Frauengesundheit beim Pharma-Konzern Perrigo arbeitet. Sie erzählt von den Erfahrungen in Italien und England, in denen, wie in allen anderen europäischen Ländern, bei denen die Pille danach rezeptfrei ist, kein Werbeverbot existiert. Es sei keinesfalls so, dass Frauen dort in ihrer Sexualität freizügiger oder weniger vorsichtig bei der Verhütung wurden. Das Einzige, was sich verändert habe, sei, dass Frauen selbstbestimmter sind und nicht mehr der Scham ausgesetzt, die mit dem Unwissen über das Medikament einhergeht. „Die Frauen wissen genau, was sie tun“, sagt sie, „und können die Zeit, die sie vorher gebraucht haben, um sich zu informieren, wo und wie sie das Medikament bekommen nun damit verbringen, sich über das Medikament und seine Wirkung zu informieren.“


Information gegen Scham und Stigmatisierung


Das Thema Scham und Stigmatisierung ist eine der größten Nebenwirkungen des Werbeverbots. Roman Malessa, Chief Growth Officer bei der Gesundheitsplattform FAQ erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen sogar an diesem Abend: „Jede Frau, die mir heute Abend ihre persönliche Geschichte erzählt, erklärt genau und im Detail, wie es dazu gekommen ist – diese Form der Rechtfertigung ist gar nicht notwendig.“ Er sieht im Zugang zu Information einen zentralen Punkt, genau diese Scham zu überwinden. Dabei zähle aber nicht nur, dass es genug Inhalte gibt – sondern auch die Art, wie sie aufbereitet sind: „Über 50% der Gen Z googlen nicht mehr, sie gehen auf TikTok. Und da müssen sie guten Content zu dem Thema finden können.“


Genau das will Schauspielerin und Model Elena Carrière schaffen. Nachdem sie selbst die Erfahrung gemacht hat, die Pille danach nehmen zu müssen, hat sie entschieden, sich zu überwinden und offen über das Thema zu sprechen: „Am liebsten hätte ich das am Anfang niemandem erzählt, weil diese Stigmatisierung stark ist.“ Schockiert war sie auch über die Reaktionen in den Kommentarspalten, als sie ihre Geschichte geteilt hat: „Wir wissen gar nicht, wie viele Frauen damit allein gelassen werden. Wie viele Frauen mit mir Schicksalsschläge geteilt haben, die ihnen passiert sind, weil sie nicht genug aufgeklärt waren.“ Heute zeigt sie auf ihrem Kanal Expert:innen, veranstaltet Events, versucht, den Austausch zu fördern. „Wir müssen das als Gesellschaft gemeinsam schaffen.“


Ricarda Lang: „Durch unser Rechtssystem zieht sich ein tiefes Misstrauen gegenüber Frauen.“


Die wichtigen Weichen hierfür kann und muss die Politik stellen. Die Aussagen von Grünen Politikerin und aktuell noch Parteivorsitzender Ricarda Lang bleiben auch beim Austausch nach dem offiziellen Programm Thema. Nicht nur, weil sie direkt zu Anfang ihre persönliche Geschichte mit der Pille danach teilt. Sie zeigt auch sehr klar die politische Dimension, die sich von dem Werbeverbot bis hin zur Debatte um die Abschaffung des Paragraf 218 zeigt: „Durch unser Rechtssystem zieht sich ein tiefes Misstrauen gegenüber Frauen. Dahinter steckt eine abstrakte gesellschaftliche Moral, dass Frauen nicht selbst entscheiden können.“ Bei Themen wie reproduktive Gesundheit sei die Gesellschaft viel weiter als die Politik. Die Parteien der Ampel-Regierung sind sich eigentlich einig, dass der gesellschaftliche Fortschritt auch politisch aufgeholt werden muss – so steht es im Koalitionsvertrag. Doch der Erfolg konservativer Parteien bei den vergangenen Landtagswahlen führe dazu, dass einige Partner nun eher Abstand von diesen Themen nehmen wollen. Ricarda Lang wünscht sich mit Verweis auf die USA und Frankreich, wo die Themen Abtreibung und Selbstbestimmung trotz wachsendem Rechtspopulismus auf der Wahlkampf-Agenda stehen: „Dass wir mit Druck sagen, jetzt erst recht!“ Als Mittel dafür sieht sie Veranstaltungen wie auch das Dinner an diesem Abend im Soho House – und Öffentlichkeitsarbeit. „Für viele Frauen wird das Thema Selbstbestimmung kritisch für ihre Wahlentscheidung sein“, sagt sie. Und genau da könne man ansetzen.


FRAUEN100 unterstützt die Initiative #nurwennichesweiss, per QR Code konnten die Teilnehmerinnen digital unterzeichnen. Den gesamten Brief und alle Infos findet ihr hier: #nurwennichesweiss


Text von Mirijam Trunk

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